Spanische Küche
Der Reichtum der einfachen Küche
Es gibt eine Küche, die märchenhaft ist und wenig kostet - außer Zeit und Sorgfalt bei der Zubereitung und Muße beim Genießen. Es gibt eine Küche, die traditionell ist und doch zukunftsweisend. Es gibt eine Küche, die einfach ist und doch reich - an Aromen, an Ideen.
In Spanien werden Rezepte geschätzt, die so interpretationsoffen sind wie das Wort mañana, das nur offiziell »morgen« heißt, aber ebenso »übermorgen«, »irgendwann diese Woche« oder »vielleicht nächstes Jahr« bedeuten kann. Rezepte, in denen es zwei, drei Fixpunkte gibt, an die man sich gefälligst zu halten hat, aus Gründen der Tradition und der Wiedererkennbarkeit, die sonst aber, weder was die Kochdauer noch die Inhalte angeht, allzusehr einengen.
Die Paella bietet eben diese Vorteile: Es gibt keine verbindlichen Angaben, was alles in diese Mischung hinein gehört, noch weniger Vorschriften, wie lang oder kurz sie in der Pfanne zu sein hat. Man könnte also die spanische Küche als eine geniale Notlösung betrachten, besonders die authentische und einfache Küche.
Genau darin liegt die Charakterstärke der spanischen Eßkultur: Sie war und ist bis heute pragmatisch und arbeitet einem gewissen Phlegma nicht entgegen, sondern in die Hände.
Die einfache spanische Küche will und soll nicht imponieren, sondern schmecken. Sie will nicht tausend Inspirationen verwerten, sondern Reste. Sie will nicht eindrucksvoll vielseitig sein, sondern vielseitig verwendbar. Sie will nicht weltläufig wirken, sondern die kleine Welt der Tischgenossen beglücken.
Fisch billig einzukaufen und den Billig-Fisch noch billiger, ist keine Frage der Sparsamkeit, das ist in Spanien eine Frage der Ehre. Diese Tatsache verschafft dem Fremden, der auf einen provinziellen Fischmarkt gerät, ein einzigartiges Gratis-Schauspiel. Da umkreisen die Hausfrauen, manchmal auch Hausmänner, den Fischhändler, mit demonstrativem Blick in den Himmel, aufs Meer oder die umliegenden Fassaden. Und treten dann in kürzer werdenden Abständen immer wieder an das Angebot heran. Um was zu tun? Über den Fisch zu schimpfen und ihn wortreich zu schmähen. »Dieses stinkende Zeugs willst Du für diesen Wucherpreis loswerden? Nicht an mich.« Abgang des potentiellen Kunden, Spaziergang mit betontem Desinteresse am Fischhändler. Zweiter Auftritt. »Na bitte, Du sitzt immer noch auf Deinem halbverwesten Fisch, den kauft Dir eben keiner ab für dieses Geld.« Der neue Preis ist immer noch eine Beleidigung. Nach mehreren rituellen Durchgängen erst sagt der Kunde mitleidsvoll: »Dann gib mir eben von diesen ekelhaften Polypen.«
Daß ein Zuviel an Knoblauch Scherereien einbringen kann, scheint den Spaniern durchaus bewußt zu sein. Wie sonst ließe es sich erklären, daß oler a ajo zwar wörtlich heißt: nach Knoblauch riechen. Aber es meint: mit Problemen überhäuft sein. Daß sich der Genuß eines Gerichts mit Knoblauch in spanischer Dosierung nicht geheimhalten läßt, ist geradezu eine Platitüde. »Estar en el ajo« bedeutet, ein Mitwisser sein.
Wein und Tortilla gelten als eine märchenhafte Kraftnahrung. In dem alten Märchen von Pedros drei Geschenken wird erzählt, wie der arme Kerl drei Schreckensnächte durchhalten muß, um an drei Wunderdinge zu kommen. Nach jeder Nacht will er völlig erschöpft und entnervt den Krempel hinschmeißen, aber jedesmal beruhigt ihn sein Auftraggeber und päppelt ihn auf - mit nichts anderem als Tortilla und Rotwein.
Wer sparsam ißt, speichert Aromen und damit Geschmack auf wirklich märchenhafte Art und Weise. In einem chinesischen Märchen fragt der Kaiser von China einen Bettler, an dem er vorbeigeht, wie er sich einen so köstlich duftenden Tee leisten könne. Und der Bettler sagt, er sei einmal reich gewesen und habe in guten Tagen die Teekanne nur nie ausgeputzt. Jetzt genüge es, heißes Wasser hineinzugießen.
In einem spanischen Märchen mit dem Titel "Die Prinzessin als Äffin" wird das spanische Gegenstück dazu erzählt. »Da rief die alte Äffin eine andere Äffin und sagte ihr: "Hör', Du, laß' das Tuch bringen, mit dem die Pfannen ausgewischt werden".«
Was es gibt, wenn gar kein Geld da ist, verrät der spanische Ausdruck dafür, mit jemandem durch dick und dünn zu gehen: »contigo pan y cebolla« - mit dir Brot und Zwiebeln teilen....
etoilee